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Machen Depressionen „unterwürfig“?

Deutschland. Viele Menschen fragen sich nach dem „Sinn“ von Depressionen. Zumindest Evolutionswissenschaftler haben eine Antwort parat: Für sie dienen Depressionen dem Überleben. Sie sollen die Betroffenen aus Konkurrenzsituationen herausführen, in denen ein „Gewinnen“ unwahrscheinlich ist. Dies geschieht durch ein innerliches Umschalten auf „unterwürfige Verhaltensweisen“ und den damit verbundenen Verzicht, eine höhere Rangposition zu erreichen oder zu erhalten. Gleichzeitig bleiben den Betroffenen Katastrophen erspart, die sonst durch ungehemmt eskalierendes Verhalten entstehen würden.

Die Bedeutung von Dominanz

     Für diese Betrachtungsweise der Depression („Rangordnungshypothese“) lassen sich nach Ansicht von F. Pillmann biologische, klinische und psychologische Befunde anführen. Kernstück der These ist die Annahme, dass depressive Syndrome eine enge Beziehung zu Verhaltensweisen haben, die bei Mensch und Tier Rangordnungen regulieren. Grundsätzlich scheint es für zahlreiche Lebewesen vorteilhaft zu sein, in sozialen Beziehungen eine dominante Position einzunehmen. Denn diese erleichtert den Zugang zu Nahrungsmitteln, Geschlechtspartnern und weiteren Ressourcen. Um Schaden zu vermeiden, sind die Auseinandersetzungen mit artgleichen Konkurrenten typischerweise ritualisiert. Nach vorübergehender Eskalation enden sie oft, indem sich einer der Beteiligten zurückzieht, weitere Auseinandersetzungen meidet und an Futterquellen sowie gegenüber Fortpflanzungspartnern zurücktritt (Unterordnung). Häufig findet man bei „rangtieferen“ Tieren auch ängstlicheres Verhalten, geringeres Gewicht und weniger Aktivitäten – also Phänomene, die denen der Depression ähneln. Auch die klinische Erfahrung zeigt, dass Depressionen nach einem Verlust des sozialen Ranges (sei es im Kindergarten oder in der Vorstandsetage) bzw. einer Abnahme des Durchsetzungsvermögens auftreten können. Der Umstand, dass Frauen häufiger unter Depressionen leiden, passt ebenfalls zur „Rangordnungshypothese“ der Depression: Aufgrund mütterlicher Aufgaben und vergleichsweise geringerer Fortpflanzungschancen hat der Schutz des eigenen Lebens und das Vermeiden von Risiken für Frauen eine tendenziell höhere Bedeutung als für den Mann. Dementsprechend sind sie weniger aggressiv bzw. unterwürfiger als Männer. Für eine Interpretation depressiven Verhaltens als Form der  „Unterordnung“ sprechen nicht zuletzt Tierversuche, in denen Antidepressiva unterwürfiges Verhalten verringerten und dominantes förderten.

Macht sozialer Beziehungen

    Dominantes Verhalten ist oft, aber nicht zwingend mit vermehrter Aggression verbunden. Auch „soziale Kompetenz“ (Bindungen, kooperatives Verhalten und Allianzen) kann (besonders bei Primaten) Basis von Dominanz sein. Dieser Aspekt erinnert ebenfalls stark an Begleitumstände der Depression: Denn soziale Bindungen, der Verlust wichtiger Bezugspersonen und die Unterstützung durch das soziale Netzwerk tragen zur Entstehung bzw. zum Schutz vor depressiven Symptomen beim Menschen bei. Dementsprechend gelten Verlustereignisse als bedeutende Auslöser depressiver Verstimmungen. Da ein Mangel an sozialer Unterstützung die Durchsetzungschancen im sozialen Wettbewerb herabsetzt, kann es unter solchen Umständen äußerst sinnvoll sein sich unterzuordnen. Unabhängig davon findet man bei depressiven Menschen immer wieder Aggressivität (etwa in Form einer verbitterten Grundstimmung oder autoaggressiver Verhaltensweisen).

Depressionen als überflüssiges Relikt?

    Emotionen mit Schutz- und Abwehrfunktion haben eine niedrige Auslöseschwelle. Denn eine Fehlauslösung ist in der Regel weniger gravierend als ein Versagen des Schutzes. Unterwürfiges Verhalten ist deshalb relativ leicht auszulösen. Bei Menschen mit einer besonderen Veranlagung für diese Art zu reagieren, kann daraus eine anhaltende Depression entstehen. Nach Ansicht von Pillmann haben Depressionen in der gegenwärtigen Gesellschaft ihre ursprüngliche Funktion (Lebenserhalt durch „Unterwerfung“) weitgehend verloren. Denn soziale Rangordnungen werden heute in hohem Maße formal durch Rollenmuster, Konventionen und Gesetze geregelt. Vielleicht erklärt dies, warum Depressionen als „Krankheit“ immer bedeutsamer werden.

F. Pillmann: Sozialer Rang und Depression – ein Beispiel „evolutionärer Psychopathologie“. Fortschr. Neurol. Psychiat. 2001 (69) 268-277