USA. Ein nützliches und
in der Praxis leicht anwendbares Screening-Instrument für Depression und
Angst ist die absolute Summe somatischer Beschwerden. Ähnlich wie eine
erhöhte Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) für ein krankhaftes Geschehen
spricht, erhöht sich mit der wachsenden Zahl somatischer Beschwerden
(ohne offensichtliche Ursache) die Wahrscheinlichkeit, dass der
Betreffende unter seelischen Problemen leidet. Diesen Zusammenhang
entdeckten K. Kroenke und Kollegen in einer Studie, die 500 ambulante
Patienten mit körperlichen Beschwerden auch seelisch untersuchte. Nach
Ansicht der amerikanischen Wissenschaftler sind spezifische Symptome (wie
etwa Schlafstörungen oder Müdigkeit) weniger richtungsweisend, als man
bisher vermutete. Solche Symptome erlangen möglicherweise deswegen
besondere Aufmerksamkeit, weil sie routinemäßig in allen Tests und
Screeninginstrumenten auftauchen, so dass sie anschließend entsprechend
oft auch „entdeckt“ werden.
In der Studie von Kroenke und
Mitarbeitern litten immerhin 29 Prozent der im Durchschnitt rund 55 Jahre
alten Patienten unter Depression oder/und Angst. 65 Prozent klagten über
Schmerzen, wobei die häufigsten Beschwerden das Muskelskelettsystem
betrafen. Von den insgesamt 500 Patienten schilderten 497 ausschließlich
körperliche Beschwerden und nur 3 Personen nannten zusätzlich zu den körperlichen
Beschwerden auch ein emotionales Symptom.
Auf die Frage, worauf die Patienten selbst ihre Beschwerden zurückführen,
wurden 260 Ursachen genannt, von denen sich lediglich vier auch auf
Emotionen bezogen.
Wie die amerikanische Studie
zeigt, sprechen außer einer großen Symptomzahl (6 und mehr) auch noch
folgende Patientenmerkmale für Depression oder Angst: Stress in der
Vergangenheit, Erleben der Symptomatik als besonders schwer und ungünstige
Selbsteinschätzung der Gesundheit. Alle vier Komponenten lassen sich als
„S4-Modell“ leicht merken (Symptomzahl,
Stress,
Schwere
der Symptomatik und Selbsteinschätzung der Gesundheit). Schließlich zeigte
die Untersuchung noch, daß somatisierende Patienten, die unter Depression
oder Angst leiden, nach der ärztlichen Konsultation eher enttäuscht
sind, von ihren Ärzten als schwierig eingestuft werden und selbst Monate
später noch über anhaltende seelische Symptome und Streß klagen.
K.
Kroenke et al.: Depressive and anxiety disorders in patients presenting
with physical complaints: clinical predictors and outcome. Am. J. Med.
1997 (103) 339-347
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