von Dr. med. Markus
Schwarz, Chefarzt am Psychiatrischen Zentrum Nordbaden
Mit
einer Erfolgsquote von bis zu 90 Prozent und einem verhältnismäßig raschen
Wirkungseintritt ist die Elektrokrampftherapie (EKT) nach wie vor die
effizienteste Maßnahme zur Behandlung schwerster Depressionen. Dennoch
führt sie zumindest in Deutschland immer noch ein Schattendasein. Im
Ausland wird sie je nach Land weitaus häufiger eingesetzt.
Vorurteile und Ängste („Elektroschock“, Assoziationen mit „Folter“)
scheinen in der Öffentlichkeit weiterhin für Skepsis und Zurückhaltung zu
sorgen. Dabei ist die EKT ein seit mittlerweile über 60 Jahren erprobtes
und bewährtes Verfahren. Ihr Prinzip ist die kontrollierte Auslösung eines
Krampfanfalls unter einer Kurznarkose. Letztere gewährleistet eine sichere
und schmerzlose Durchführung. Im Vergleich zur medikamentösen Behandlung
sind die Risiken sogar geringer. Bei kunstgerechter Anwendung (Stimulation
lediglich einer Gehirnhälfte mit Kurzpulsgeräten) ist die Rate kognitiver
Störungen relativ gering. Für ältere Patienten, bei gravierenden
Begleiterkrankungen und für Schwangere dürfte die EKT sogar sicherer sein
als jede andere Form der Depressionsbehandlung.
Trotz der jahrzehntelangen Anwendung ist der genaue Wirkungsmechanismus
der EKT bis heute ungeklärt. Eine der Haupthypothesen geht davon aus, dass
EKT gestörte Funktionen des Hypothalamus normalisiert. Außerdem diskutiert
man, ob EKT dadurch antidepressiv wirkt, dass sie selbst (indirekt)
krampfverhindernd wirkt. Neuere Untersuchungen deuten an, dass sich die
zerebrale Durchblutung unter EKT normalisiert.
Die Hauptindikation für eine EKT sind lebensbedrohliche depressive
Zustände (insbesondere wenn sie mit massiver Suizidalität, depressivem
Stupor, Nahrungsverweigerung, körperlicher Erschöpfung oder schweren
Begleiterkrankungen einhergehen) sowie Depressionen, die auf
Antidepressiva nicht ansprechen. Selbst im letztgenannten Fall erzielt die
EKT Besserungsraten zwischen 50 und 75 Prozent.
Eine EKT umfasst in der Regel eine Serie von sechs bis zwölf
Einzelanwendungen in einer Frequenz zwischen ein bis drei Behandlungen pro
Woche. Jede Sitzung dauert (einschließlich aller Vorbereitungen) 15 bis 20
Minuten. Die erste Stimulation beträgt meist das 2,5-fache der
individuellen Krampfschwelle. Eine zu niedrige Stimulusdosis gefährdet das
erzielbare Ergebnis. Zur Aufklärung der Patienten gehört insbesondere ein
Hinweis auf mögliche (meist vorübergehende) Amnesien. Diese relativieren
sich in ihrer Gewichtung teilweise dadurch, dass sich das kognitive
Leistungsvermögen unter der EKT meist bessert.
Gegenstand aktueller Untersuchungen ist die Frage, mit welchen Methoden
der durch EKT erzielte Erfolg möglichst lange erhalten werden kann
(Rückfallprophylaxe). Mehrere Studien weisen auf den Nutzen einer
Erhaltungstherapie mit Antidepressiva hin (unter Umständen in Kombination
mit Lithium). Paradoxerweise scheinen dabei mitunter auch solche Mittel
wirksam zu sein, die ursprünglich keine Besserung erzielen konnten. Eine
weitere Möglichkeit ist die niederfrequente Fortführung der EKT alleine
oder in Kombination mit Antidepressiva.
Für die Verträglichkeit und Wirksamkeit der EKT spricht nicht zuletzt ,
dass sie mit Erfolg zunehmend häufiger auch bei Demenz-Kranken mit
Depression eingesetzt wird. Selbst über 90-jährige haben nachweislich von
ihr profitiert. Nach einer repräsentativen Klinikbefragung aus dem Jahre
1995 wurde die EKT schwerpunktmäßig an Universitätskliniken und
spezialisierten Zentren praktiziert. Bedenklich stimmt die Auffassung der
Mehrheit der befragten leitenden Psychiater, dass die EKT in Deutschland
wesentlich seltener angewandt wird, als dies im Interesse der betreffenden
Patienten sinnvoll und notwendig wäre.
Literaturauswahl: H. Folkerts: Elektrokrampftherapie bei depressiven
Erkrankungen.
Therapeutische Umschau 2000 (57) 90-94; R. M. Glass:
Electroconvulsive therapy. Time to bring it out of shadows. JAMA 2001
(285) 1346-1348; V. Rao et al.: The benefits and risks of ect for patients
with primary dementia who also suffer from depression.
Int. J. Geriatr.
Psychiatry 2000 (15) 729-735; T. J. Milo u.a.: Changes in regional
cerebral blood flow after electroconvulsive therapy for depression. The
Journal of ECT 2000 (17) 15-21; H. A. Sackheim u.a.: Continuation
pharmacotherapy in the prevention of relapse following electroconvulsive
therapy. A randomized controlled trial.
JAMA 2001 (285) 1299-1307;
U. Müller u.a.: Die Elektrokrampftherapie in Psychiatrischen Kliniken der
Bundesrepublik Deutschland 1995. Nervenarzt 1998 (69) 15-26
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